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POLITISCHE KORREKTHEIT

  • vinylfreak
  • Mar 25, 2023
  • 4 min read

Updated: Feb 10


Ich will das hier mal lieber nicht ausweiten zu einem politisch-philosophischen Diskurs.

Hier geht es ja letzendlich um Musik.


Die Kurzversion lautet, dass allein schon das Begriffspaar von politisch korrekt vs. politisch unkorrekt für mich eine Diskursverschiebung darstellt. Mal ganz abgesehen davon, was eigentlich "politisch" überhaupt bedeuten soll.


In der Kunst hat das für mich absolut nichts zu suchen. Es gibt die künstlerische Feiheit. Und die ist nicht vs. irgendwas. Den einzig geltenden und akzeptable Rahmen bildet die Gesetzeslage.


Das wahrlich "politisch Unkorrekte" ist das wildgewordene Bashing der (nicht wirklich) sozialen Medien, eine Form des singulären Faschismus, wie ihn die "Wall" so wunderbar erklärt. Punkt.


Ich für meinen Teil jedenfalls liebe politisch Unkorrektes.

Ingrid Steeger Vinyl Schallplattencover Charmante Frechheiten.
Hier meine Radiosendung dazu.

Nehmen wir Billy Joel's "Woman": Für mich bringt da ein Künstler sein gescheitertes Verhältnis zu einer Frau, oder vielleicht zu allen Frauen zum Ausdruck. So, wie David Coverdale seit vierzig Jahren in quasi jedem zweiten seiner Lieder, immer und immer wieder.

Da wird nicht hinterfragt, was denn die eigene Rolle ist, die eigene Verantwortung. Das sind keine philosophischen Abhandlungen und erst recht keine politischen Diskurse. Und vielleicht sind diese Typen einfach menschlich gesehen völlige Volltrottel. Eine bestimmte Gemütslage musikalisch einzufangen, das gelingt ihnen aber eben großartig, und das ist eine Kunstform.


Ich für meinen Teil mag das halt. Vor allem natürlich dann, wenn für mich Musik, Abmischung und Text zueinander passen. Zum Beispiel Parsons "I'd rather be a Man". Die Scheibe gehört nicht zu meinen favorisierten von ihm, aber auf Vinyl klingt gerade dieses Lied großartig.

Provokation ist für mich also ein integraler Bestandteil von Kunst.

So kommt es jedenfalls, dass ich Westernhagen's "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" behalten habe. Vom Klang her ist das auch wirklich eine schöne Platte, aber musikalisch doch schon eher schwach. Aber "Dicke" höre ich halt immer mal wieder gern.


Extrabreit habe ich an anderer Stelle schon erwähnt.

Erwähnenswert finde ich noch die Truppe Breslau mit "Volksmusik". Das ist ja vor Rammstein und was es heute so an explizieter Fascho-Musik gibt. Wir hatten damals gar nicht die Frage, für uns war das eher Verarschung, dass sich der Deutsche angeblich durch Mitsingen jedes Liedes fit hält. Wir hätten auch nicht gewusst, dass die mit 75 Jahren noch immer aktive Jutta Weinhold vorher mit den zweifelsfrei eher links-anarchistischen Armon Düül II kooperiert hatte. Ob das jetzt ausreicht zu belegen, dass sie nicht dem falschen Lager nahestand, es war einfach egal.

Die Scheibe von Breslau bretzelt wie AC/DC, die Gitarre steht Angus' vom Klang in nichts nach, das wummst. Und ob Bon Scott vielleicht etwas gegen Neger hatte auf seiner Autobahn zur Hölle, fragt ja schließlich auch keiner. Es fragt sich ja auch niemand, welche Partei der Koch wählt, wenn man in ein gutes Restaurant geht. Schmecken soll's, und es darf halt nicht gleich die falsche Fahne an der Wand hängen.


Es gibt keine relative künstlerische Freiheit, wo ein Bot-gesteuerter medialer Mob entscheidet, was legitim ist und was nicht. Da muss man einfach mit leben, dass sich Freiheit nicht in einer Zwangsjacke verteidigen lässt.


Die eher harmlose Pop&Schlagertruppe für pseudo-coole Cowboystiefelträger, Die Ärzte, steht bei mir übrigens im Schrank wegen "Elke". Vom Text abgesehen, das ist hervorragende Studioarbeit. Ach klängen doch alle Platten so gut wie dieses Lied auf dieser ansonsten eher mäßigen Scheibe.


Richtig schön unkorrekt wären dann sogar die Scorpions mit "He is a woman, she is a man ... and then IT looked at me ...", das auf der aus verschiedenen Gründen hier empfolenen Live-Scheibe auch drauf ist.

Und um das richtig einzuordnen, muss man eben sowas auch einfach im historischen Kontext verstehen: Niemand hatte damals je eine Conchita Wurst gesehen, die Jungs waren vielleicht einfach geschockt. Sonst darf man Weill gleich als pädophil abkanzeln und am besten Goethe noch als patriarchal und misogyn brandmarken.

Von Zappa rede ich da lieber erst gar nicht ... so in die Vergangenheit zu schauen, ist einfach blödsinnig.

Und meine wegen des ultrakitschigen Covers behaltene "Gary Glitter", der David Bowie für Normalos, die muss ich dann auch noch wegwerfen. Googeln Sie's, ist nicht schön, aber eine Straftat führt für mich halt nicht dazu, dass damit automatisch rückwirkend ein Gesamtwerk entwertet ist.


Und wenn man sich der Provokation durch Kunst entzieht und den Diskurs damit polarisiert, man versteht dann irgendwann die Feinheiten einfach nicht mehr. Eine musikalisch schlechte Scheibe wie "Magengesicht" der Gebrüder Engel, der Feinsinn der Texte, das war wichtig in der Zeit und es hatte seinen Platz. Aber außer "Am Arsch", Kabelfernsehen, bunt und schön, wir verblöden angenehm, wie prophetisch 1981, verstünden heute wohl nur noch wenige den Hintersinn der doppelten Ironie.


Und bei manchen, da ist es eben einfach nicht klar, zu welchem "Lager" die gehören, ob nun bei der genannten Breslau oder bei der Deutsch Amerikanische Freundschaft "Der Moussolini". Ich kann das hören als hintersinnige Kritik. Die Musik mag ich absolut nicht, deswegen habe ich die trotz des großartigen Klangs der Platte nicht behalten.


Und dann erst die Cover!

Birth Controls "Hoodoo Man" ...


Naja, belasse ich es mal bei diesen Beispielen und fasse zusammen:

Es gibt Musik, die höre ich gern, weil sie gut klingt. Und es gibt Texte, die ich schätze, weil sie provozieren.

Auf politische Korrektheit scheiß' ich.


Wenn Sie das gern gelesen haben, empfehlen Sie mich doch bitte einfach weiter. Ich werde gern gelesen.


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vinylfreak

Eine Welt, in der sich mehr Menschen die Zeit nehmen, gezielt ausgewählter Musik zu lauschen, statt sich mit dem immer gleichen Soundbrei berieseln zu lassen, dürfte eine bessere sein.

Sei der Unterschied auch nur so hauchdünn wie ein Haarkratzer, er wird gleichzeitig so gewaltig sein wie der zwischen VG und NM.

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