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vinylfreak

FEINHÖREN, HINHÖREN & AUDIOPHILIE

Updated: Dec 4, 2023

Das meine ich tatsächlich ernst:

Eine Ohrmuschel vor einem weißen Hintergrund.

Eine Welt, in der sich mehr Menschen die Zeit nehmen, gezielt ausgewählter Musik zu lauschen, statt sich mit dem immer gleichen Soundbrei berieseln zu lassen, dürfte eine bessere sein.

Sei der Unterschied auch nur so hauchdünn wie ein Haarkratzer, er wird gleichzeitig so gewaltig sein wie der zwischen VG und NM.


Ich spare mir vornehm mal den größten Teil der allgemeinen Gesellschaftskritik. Als seinerzeit das Kabelfernsehen eingeführt wurde war spätestens mit "Tutti Frutti" klar, dass wir uns durch die Privatisierung nicht etwa auf ein "reichhaltigeres Programm" -so wurde das ja propagiert- sondern auf ein Zeitalter voller völlig verblödeter, passiver Endkonsumenten zubewegen, die den Werbeblock für eine Informationssendung halten.

Und mir grauste es schon damals.


Letzendlich ist es schneller viel schlimmer gekommen. Wobei, die kulturzersetzende Katastrophe von Streaming war ja nicht voraussehbar.

Ein großer Flachbildschirm mit bunten Bildern.

In dem thematisch hervorragenden, aber leider furchtbar schlecht umgesetzten Film von 2006, "Idiocracy", spricht diese Szene da Bände. Bereits 30 Jahre zuvor, also vor fast fünfzig Jahren, wurde das vorweggenommen durch das wunderbar sprechende Cover von Supertramps "Crisis, what Crisis?":

Die gesamte Geisteshaltung und Lebensweise einer Gesellschaft eingefangen in einem einzigen Bild und mit nur drei Worten. Das gehört wohl unzweifelhaft ins Vinylmuseum!


Das Anliegen dieser Webseite

ist die Unterstützung beim (Wieder)erlernen des Hinhörens. Sie finden hier sozusagen eine Anleitung dazu, indem Sie beispielsweise die Einträge zu den audiophilen Platten durchstöbern und in die ein oder andere Scheibe auch tatsächlich mal reinhören. Oft bieten sich auch Vergleiche von remasterten Versionen mit dem Original an. Nicht immer so offenkundig wie bei diesem schönen Beispiel.

Ich glaube, dass das so gehen kann, das Erlernen des Feinhörens.


Etwa so, wie jeder das Singen lernen kann:

Nicht jeder wird ein Opernstar. Aber chortauglich, das geht für jedermann. Oder jederfrau. Sofern, ich will ja nicht diskrimierend sein, mensch eine Stimme hat und nicht geistig minderbemittelt ist.

Was ich ansonsten von politischer Korrektheit halte, können Sie gern hier etwas genauer nachlesen. Politische Korrektheit ist für mich Teil des Kulturverlustes eines Zeitalters, wo ein ungebildeter, faschistoid gesinnter Stimmungswellenmob in blinder Blasen-Wut jahrhunderte alte Statuen umstürzt oder über Künstler herfällt. Die nächsten staatlich sanktionierten Bücherverbrennungen dürften wohl nicht mehr weit weg sein.

Ich wage jedenfalls die Voraussage, dass es nicht mehr lange dauert, bis "The Wall" als faschistisch und wahrscheinlich antisemitsch unter Beschuss gerät. Oder ein wunderbares Zeitdokument wie "Ich, das Groupie" wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole glatt verboten wird.

Ist Weibsvolk anwesend?
Yehowa, Yehowa!

Das Leben des Brian ist wohl zweifelsfrei antisemitisch und obendrein auch noch eindeutig genderpluralitäsfeindlich. Kein Musikfilm, aber der ist bestimmt auch bald dran!

Sofern sich damit noch Klicks generieren lassen jedenfalls.


Vielleicht ist der Film aber auch wie der wohl zweifelsfrei misogyne und obendrein wohl auch noch judenfeindliche Goethe einfach zu lang her.

Das also ist nämlich die moderne Gretchenfrage: Generiert es Klicks bzw. lohnt es sich?


Wie man Hinhören lernt

Ein dicker Mann sitzend und beckleckert mit Essen, ein stehender Mann beugt sich zu ihm herunter.

Das Konzept von komplexer Musik und Popmusik unterscheidet sich für mich so:

Popmusik ist eingängig und schmeckt irgendwie allen, wie Fastfood. Mir hat Fastfood nie sonderlich geschmeckt, oder sagen wir, nur ganz selten, und zwar beim ersten Dönerladen meiner Heimatstadt die Pita, wo die vom Brot bis zur Soße alles selbst gemacht haben und es dazu echte Pommes mit richtiger Mayo gab.


Man könnte Hinhören wie Hinschmecken tatsächlich auch durch den Vergleich von Popmusik erlernen. ABBA und Boney M sind beispielsweise beides solide abgemischte Bands. Sie unterscheiden sich aber bei den Stimmen recht deutlich: Frank Farian, einer der wichtigen Toningenieure, die ich benennen kann, hat die Stimmen einfach gut hinbekommen, sie klingen echt. Obwohl die "Künstler" das meiste gar nicht selbst gesungen haben, sondern Farian selbst. (Bei Milli Vanilli hat er gleich alles selbst gemacht.) Bei ABBA hört man hingegen schon recht deutlich die Mickey-Mouse-Stimme. Mit dem Einzug der Syntheziser-Technik führt das dann bis zu "Barbie Girl" und dem, was danach folgt und die Bezeichnung "Popmusik" einfach nicht mehr verdient.

Und dann achten Sie aber mal auf die Stimmen bei Parsons im Vergleich zu ABBA, das ist ja auch Chart-Pop aus der Zeit gewesen.

Oder nehmen Sie sich eine frühe Queen (in originaler Abmischung!), weiß Gott kein Pop im oben angedachten Sinne, und vergleichen Sie die unfassbare Stimme von Freddy Mercury mit späteren Aufnahmen, sagen wir mit "It's a kind of Magic". (Da reicht eine Konserve.)


Ich mochte diese irgendwie immer gleichen Stimmen nie. Vielleicht deswegen war ich tendenziell dem Rock vor Guns and Roses zugewandt.

Zufällig war ich wohl Feinhörer von hause aus, das weiß ich aber wirklich erst neuerlich: Als Deep Purple die "Perfect Strangers" rausbrachte, habe ich die natürlich sofort gekauft, und fand sie zum Kotzen. Heute kann ich sagen, die künstlichen Streicher waren es hauptsächlich. Das ist mir dann lieber ohne.

Beginnt man sowas mal rauszuhören, autogetunte Stimmen, künstliche Instrumente ... das ist so, wie wenn man weiß, wie man Geschmacksverstärker herausschmeckt oder warum Erdbeerjoghurt nicht nach Erdbeeren schmeckt. Hat man's einmal begriffen, dann gehen viele Restaurants mit ihren Instantsoßen oder Konzeptgastro einfach nicht mehr. Und Erbeerjoghurt auch nicht, es sei denn, man mag Sägespäne.


Das heisst aber nicht, dass man keine Burger mögen dürfte oder Pommes.

Es gibt nur im Bereich Popmusik noch weniger Gyros-Pita mit hausgemachter Soße und echten Pommes als im Rock. Aber mögen tue ich Pommes mit Mayo, das dürfen Sie mir aber glauben! Und ich brauche übrigens auch nicht zwingend echte Instrumente, Klaus Nomi wäre da ein wunderbares Gegenbeispiel. Übrigens mit einer echten Stimme, hören Sie sich das doch mal an!


Also, Pommes und Burger können geil sein, Synthesizer-Musik auch.

Damals mochte ich auch Kraftwerks "Autobahn" und natürlich "Das Model". Diese Klänge waren einfach neu. Wer die heute im Schrank stehen hat, ich glaube nicht, dass die ernsthaft noch jemand hört. Das hat sich überlebt, da geht es höchstens ums Besitzen. Es ist eben Popmusik, drei mal gehört, nichts mehr zu entdecken.

Was bei Kraftwerks erster, dem orangen Pilon, übrigens ganz anders ist ... wobei da auch im eigentlichen Sinne kein Syntheziser am Werk ist. Aber, ich höre also auch gern Syntheziser Musik, den guten Jean Michell Jarre lege ich noch immer mal wieder auf oder nutze eine Passage für ein Mix-Tape.

So habe ich also auch eine Maxi behalten, diese, die Blue, geilerweise in blauem Vinyl, sozusagen das Echo einer Konzeptplatte. Man kann das ja nur bedingt vergleichen mit Rockmusik, aber der Klang dieser Scheibe ist einfach unfassbar gut. Und es ist eben alles künstlich.

Ich mag's halt nur nicht, wenn mir jemand Kängurufleisch als Hirschrücken vorsetzt. Auch wenn's ähnlich schmeckt, es ist eine Ratte. Und ich schmecke es heraus, ich weiß nämlich wie Hirschrücken schmeckt und wie ein echtes Piano klingt. Aber bei der "Blue" tut eben auch niemand so, als könnte er singen oder spielte Harfe. Kängurusteak würde ich ja auch essen.


Der Unterschied besteht massgeblich darin, dass bei Popmusik die Melodieführung halt so eingängig ist und der Soundteppich insgesamt so langweilig und variationslos, man kann's halt nicht immer wieder mit Freude hören und etwas Neues entdecken.

Pop ist einfacher und schneller Konsum. Und damals, ohne Streaming, da musste man sich halt entscheiden, welche Platten man kaufen wollte. Weswegen ich Bowie sehr gern mochte, letztendlich zwar Popmusik, weil er eben durch seine brechende Stimme oft zu einem disharmonischen Soundteppich eine synergetische, höhere Melodie komponiert hat. Und die eigenwillige Stimme eben echt ist. Sowas gefällt einem einfach erst nach mehrmaligem Hören, für mich eine, vielleicht die Wasserscheide zwischen Popmusik und Kunst. Weswegen mir übrigens von Bowie die "Let's Dance" und die "Young Americans" schon damals nicht gefallen haben und auch heute hier nicht in meiner Schatztruhe stehen, da hat er was für's Volk und für die Geldbörse produziert. Aber sonst schätze ich ihn sehr, außerdem spielt er ein richtiges Piano. Das kann man nämlich auch heraushören, wenn es synthetisch ist, wie bei den Streichern von Deep Purple 2.0.


Gern würde ich sowas wie eine Plattenverkostung anbieten. Ein Vinylseminar mit Weinbegleitung.

Im Bekanntenkreis ist mir das gelungen mit erheblich jüngeren Menschen, sowohl was das Hinschmecken anbetrifft als auch das Musikhören. Ist für mich bei Wein halt genauso wie bei Musik: Bevor ich mir einen Supermarktwein kaufe, nehme ich lieber gleich ein Bier. Das macht mir wenigstens nichts vor.

Und man darf auch einfach gern nur Bier trinken. Aber auch da kann man den Unterschied schmecken lernen zwischen einer Flasche, einer Druckzapfanlage und einem offenen Fass. Und bei Druckzapfanlagen (Pils und Guiness geht ja nur so) kann man auch den Unterschied schmecken von frisch an die Anlage gehängt zu schon ein paar Tage an der Leitung ...


Aber ob's die Streaming-Menschen der Spotify-Playlists mit den zwei-Minuten-Söngchen noch schaffen, ich fürchte nicht. Das ist wirklich so schlecht und bedient eine so eingeschränkte Aufmerksamkeitsspanne, die die jungen Menschen heute ja anscheinend nahezu alle haben, die können keine ganze Schallplattenseite mehr durchhören, ohne sich zu langweilen oder am Handy rumzufummeln. Und womöglich finden sie Pommes aus frischen Kartoffeln eklig.

Versuchen kann man's freilich. Aber wenn, dann im Rahmen eines Vinylmuseums, gelangweilte, digitaldemente Zweidimensionale der letzten Generation jedenfalls nicht in meinem Wohnzimmer. Irgendwo gibt es eine Grenze zwischen Sendungsbewusstsein und Märtyrertum.


Der Ohrenschmaus ist jedenfalls wie der Gaumenschmaus bei hochklassiger Ware abhängig von einer guten Vorbereitung des Sinnesorgans. Man kann nicht einen guten Eiswein aufmachen und den einfach mal eben trinken. Das ist dann süße Plörre. Der gehört mit Weinbegleitung vornweg hinter das Dessert, nur da macht er Sinn.

Ein Mann schlägt einen anderen mit der Faust.

So ist das auch mit komplexer Musik:

Man kann einem Mensch, der konventionelle Musik gewöhnt ist, nicht einfach mit der Faust auf's Ohr schlagen. Da braucht es Vorbereitung. Wie beim Wein.



Weswegen so manche Konzeptplatte auch so reizvoll ist. Wo das Ganze eben mehr ist, als die Summe seiner Teile.

Das vielleicht bittere Amuse-Gueule aus einer hochklassigen Küche ist eben auch etwas grundlegend anderes als das gefällige Weißbrot mit Olivenöl für die Warteschleife beim Italiener: Es ist Teil eines größeren Konzeptes.

So ist beispielsweise die Seite vier von Aphrodite's Childs "666" nicht gut hörbar, wenn man nicht zuvor die anderen drei Seiten gehört hat. Sie ist sozusagen der Dessertwein eines Drei-Gänge-Menüs.

Etwas weniger offensichtlich ist das bei der Can "Monster Movie": Das wunderbare Stück der zweiten Seite kann man zwar ganz gut auch als Stan-alone hören, richtig kicken tut's aber erst, wenn man sich vorher die erste, "bittere" Seite angehört hat. Die bereitet mit ihrer gewollt schrillen Abmischung nämlich die Ohren für das insgesamt recht dumpfe Stück erst richtig vor. Dahinter steckt wahrscheinlich der Holger Czuckay, der mit den Störfrequenzen eines Kurzwellenradios für bestimmte Ecken im Klangteppich gesorgt hat, die den Klang von Can so unvergleichlich machen. Etwa so wie die gewollte Bortritis (das ist ein Schimmelbefall von Weintrauben noch am Rebstock) in einer Auslese. Nicht sofort gefällig, richtig eingebettet absolut genial. Und vor allem: nie langweilig.


Zum Hinhören bieten sich natürlich auch die Songtexte an

Und auch da ist der Kulturverlust leider mehr als überdeutlich.

Es scheint nicht angebracht, das hier jetzt auch noch groß auszuwalzen, aber vor Madonnas "Material Girl" und "Come on Barbie let's go Party" von irgendeiner anderen halbnackten Tante mit modulierter Mickey-Mouse-Stimme gab es in der modernen Musik tatsächlich mal einen grundlegend gesellschaftskritischen Konsenz. Und, ob man's nun glaubt oder nicht, künstlerische Freiheit galt als ein hohes Gut.


Anhand der Popmusik der Siebziger und Achtziger, die für heutige Ohren wohl eher klingt wie hochkomplexe Klassik, lässt sich der verlorene Konsens, dass wir vielleicht nicht in der bestmöglichen aller Gesellschaftsordnungen leben, problemlos belegen:




Styx, Paradise Theatre, 1981. Großartige Platte,

ich kann sie halt nicht alle vorstellen.


Geradezu prophetisch fand ich schon damals das hier, ebenfalls Mainstream-Pop aus der Zeit, heute kaum noch vorstellbar:



Manfred Mann, Chance, 1980.


Ich jedenfalls sehe da sofort Kinder, die von Erziehern ganztags gedrillt werden, damit sie die Grundschule schaffen. Und Helikoptereltern, die ihre Kinder in dem bisschen verbleibenden freien Zeit pflichtbewusst pädagogisch bespielen. Kinder, die sich ohne Pad und Handy nicht mehr alleine und auch nicht mehr miteinander beschäftigen können. Die nicht frei spielen können.

Wussten Sie, dass das freie Spiel ein wesentliches Kennzeichen des Menschsein ist? Dass uns das von Tieren unterscheidet?


Dass in dem Song von Manfred Mann obendrein noch "Cruise Missiles" erwähnt werden, Bomben, die beim Fliegen denken, mich schaudert's da. Drohnen, vor knapp drei Jahren durchaus noch umstrittenes Kriegsgerät, heute völlig normal, waren 1980 jedenfalls so undenkbar wie seinerzeit Jules Vernes' Nautilus.

Ein Logo aus zwei sich kreuzenden Hämmern vor einem rot-weißen Hintergrund, das wie ein Nazisymbol wirkt.

Und wahrscheinlich verstünde auch niemand mehr, dass es sich dabei um Kritik handelte. Schließlich ist das hier links neuerdings ja auch ein faschistisches oder antisemitisches Symbol. Oder so ähnlich. Irgendwas politisch Unkorrektes halt, nicht wahr?

Warum denke ich da eigentlich sofort an George Orwell? Hatte er recht mit dem Jahr 1984?


Come on Barbie, let's go party!


Naja. Wie gesagt, am liebsten gäbe es mal sowas wie ein Vinylseminar mit Weinbegleitung (oder umgekehrt?) mit einem interessierten Publikum. Als Podcast geht das ja beides dann wohl doch eher schlecht ...


Wenn eine solche thematisch eingefasste Zusammenkunft mit echten Menschen zufällig ihre Vorstellung einer sinnvollen Freizeitgestaltung entsprechen sollte oder Sie zufällig einen Kulturförderverein vertreten, schreiben Sie mich doch einfach mal an. Vielleicht machen wir das ja tatsächlich. Es scheint jedenfalls wahrscheinlicher als das erträumte Vinylmuseum. Unwahrscheinlich scheint lediglich, dass ich das selber auf die Beine stelle, ich bin einfach nur noch müde ...

Thematisch passend lausche ich jetzt mal der "Perlen vor die Säue", eine wirklich schöne Scheibe, die ich ohne mein Hobby, Sammlungen aufzukaufen und durchzuhören, wohl nie gefunden hätte.

Und vielleicht haben's Sie den Text hier ja doch und wider Erwarten ganz und obendrein noch gern und am besten mit Gewinn gelesen. Wäre wirklich schön.


Wenn Sie das gern gelesen haben, empfehlen Sie mich doch bitte einfach weiter. Ich werde gern gelesen.


Musikalische Grüße

Vinylfreak

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