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  • vinylfreak

COVERKUNST: SPRECHENDE BILDER

Updated: Dec 4, 2023

"We learned more from a 3-minute record

Than we ever learned in school."


Bruce Springsteen, "No Surrender", 1984.



So wenig, wie ich Musiker bin, bin ich Kunstkenner.

Aber ich bin davon überzeugt, dass es einen Kulturverlust gibt. Dass wir, im musikalischen Kontext, quasi von Sinnen sind und unbedingt wieder das Hinhören lernen müssen.

Eine verbrannte Hand hängt an einem Stacheldraht.
Das ist ein Foto. Kein Photoshop.

Schallplatten haben natürlich primär etwas mit Ton und Klang zu tun.


Zu einer bestimmten Zeit wurden aber die Möglichkeiten der Vermittlung von Inhalten durch die Cover oder die Beilagen ebenso intensiv genutzt.

Wie hier links bei dem großen Poster.


Für mich kann ich sicher sagen:


Ich habe mehr über Gesellschaft und System von einem einzigen Cover gelernt, als in all den Schuljahren in Politik oder Sozialkunde.


Vielleicht wird diese Webseite am Ende ja doch ein Buch.


Da stünde dann auch drin, wie man im Rahmen eines Vinylmuseums darüber informieren kann, was Fotokunst ist, im Vergleich zu Photoshop oder KI-generierten Bildern.

Ein Schwein fliegt über einer Industrieanlage.

Hier ein schönes Beispiel für Fotokunst

Hätten Sie gewusst oder auch nur vermutet, dass das hier ein echtes Foto ist?

Einschliesslich des fliegenden Schweins?


Ja, echt: Da ist ein eigens dafür gebautes, 25 Meter großes Schwein durch die Luft geflogen.

Und ein Fotograph hat dazu den richtigen Moment mit dem richtigen Licht und dem besten Winkel bestimmt.

Schauen Sie mal genau hin!


Am besten natürlich während die Platte läuft. Das ist die Animals von Pink Floyd.

Das Cover dabei aufklappen mit der Dokumentation des abgestürzten Schweins ...

... denn so ist diese multimediale Show ja gedacht.



Cover mit Botschaft

Zu berichten gibt es dazu so einiges:

Supertramp. Ein Mann sitzt im Liegestuhl unter einem gelben sonnenschirm auf einer Müllhalde. Im Hintergrund eine Industrieanlage.
Supertramp, Crisis? What Crisis?

Zum Beispiel über meine Faszination, wie es vor fast fünfzig Jahren möglich war, mit diesem einen Bild die Einstellung und Lebensweise einer ganzen Gesellschaft einzufangen.

Und wie dann das Bild mich als Jugendlichen erreichte und mein Welt- und Geschichtsbild beeinflusste. Ich war offenbar nicht allein mit dem, was ich sah.


Denn so leben wir, Tag aus, Tag ein:


Krise?

Welche Krise?


1975. Da gab's die Grünen noch gar nicht. Das Wort "Umweltschutz" hätte für die meisten Menschen recht merkwürdig geklungen.

Auch damals haben sich natürlich sicherlich nicht alle mit so einem Cover eingehend beschäftigt. Aber die haben womöglich auch eher ABBA gehört und Grease geschaut. Supertramp ist da schon recht komplexe Musik mit viel Orchesterinstrumenten, zwei höre ich noch immer gern.

Erwähneswert in unserem Kontext, dass Supertramp ja nun wahrlich keine zotteligen, weltverbessernden Hippies waren. Das war schlichtweg das Niveau von Mainstream POPMUSIK, seinerzeit noch eine ernstzunehmende Kunstform mit richtigen Musikern und mit echten Instrumenten. Mehr dazu hier, im unteren Teil des Beitrags, wo es um Songtexte geht.


Andrew Gold, ein Mann sitzt mit Gitarre vor einem Fernseher. Im Hintergrund sieht man das Meer.

What's wrong with this picture?

Dieses Cover hier ist für mich noch genialer, weil subtiler: Der Denkfehler, zu dem es verleitet, und den wir damals zunächst auch glatt gemacht haben, wurde neulich erst hier von einem jungen Mann exakt wiederholt.

Mit dem gleichen Aha-Effekt:

Der suchte nämlich, wie wir, zunächst nach den Fehlern im Bild. Drei sollten sich recht schnell finden lassen, am offensichtlichsten vielleicht der Rotwein im Glas neben einer Weißweinflasche.


Wer denkt sich denn sowas aus?

Auch das ist ja ein Foto. Das muss alles besorgt, hingestellt und korrekt ausgeleuchtet werden. Vor allem aber, warum denn bloß?

Natürlich, es ist gelungen, dass man sich während die Platte läuft mit dem Cover beschäftigt hat. Und die Wahrscheinlichkeit ist erhöht, dass man gerade dieses "lustige" Cover dem nächsten Besucher mal in die Hand drückt. Was so etwas wie ein Werbeeffekt wäre.

Aber 1976, da hatte Nina Hagen noch nichtmal TV-GLotzer von den Tubes gecovert. Viel Kritik am Fernsehen gab es da insgesamt noch nicht. Und Ninas, übrigens auf Vinyl auch soundmäßig sehr geile Version, stellte für viele eine Art Affront dar. Fernsehen, wie unten beim Cover von Fehlfarben, durfte man nicht kritisieren, es war eine heilige Kuh. Und eben schon zwei Jahre zuvor hat der Andrew Gold genau das Unsägliche auf sein Cover gebannt: Ein junger Mann, der alles tun kann, vom Wein bis zum Spaziergang am Meer oder dem Telefonat mit einem Freund, vergisst sogar das Gitarre Spielen und starrt stattdessen niedergeschlagen in die Glotze. Die, nicht zufällig, nicht mit einem Kabel an eine Steckdose angeschlossen ist.

Ich find's einfach nur großartig.

Und ebenso wie das unglaublich prophetische Cover der Tubes weiter unten, es ist, mh, sprachlicher Lapsus, eben einfach prophetisch halt.

Und auch der gute Andrew Gold war eher kein Kommune-eins-Hippie, woraus dann Amon Düül hervorging, und er machte auch mit nichten irgendwelchen Protestrock oder gar psychedelisches Zeug. Auch sein Gedudel gehörte zum Mainstream. Der gesellschaftkritische Konsens im Mainstream war schlichtweg ein völlig anderer, es war eine völlig andere Zeit. Hier gibt es ein bisschen mehr dazu.

Jean Michel Jarre, Plattencover. Bild der Erde. Die oberste Schicht löst sich ab, darunter ein Totenschädel.

Und dann Jarres Oygene natürlich!

Auch das 1976. Als ich die mit knapp zehn Jahren in den Fingern hatte, dieses Cover sprach einfach Bände, seiner Zeit weit voraus.


Heute kann man halbwegs gefahrlos laut sagen, dass Bäume keinen Sauerstoff produzieren, jedenfalls nicht, wenn man ihre Zersetzung mit einberechnet, ohne verlacht oder gar angefeindet zu werden. Dass der hohe Sauerstoffüberschuss auf diesem Planeten nur deshalb existiert, weil Unmengen von Biomasse nicht zersetzt wurden sondern durch Vulkanismus unter Luftabschluss gerieten. Dass das Ausbuddeln und Verbrennen von "fossilen Brennstoffen" schlichtweg kollektiver Selbstmord ist.


Jarres "Oxygene", seinerzeit weit vorn bei elektronischer Musik. Im Gegensatz zu Tangerine Dream oder den späteren Kraftwerk , finde ich die übrigens auch heute noch hörbar. Bisschen altbacken, logo, aber irgendwie immernoch gut. Außerdem ist es eine Konzeptplatte.


Tubes, Plattencover. Ein Baby sitzt vor einem Bildschirm mit Schnuller.

Und dann die Tubes!

1979.

Ein historisches Dokument für mich:

Als ich damals das Cover sah, die Aussageabsicht war völlig klar. Auch hier eine prophetische Weitsicht der Extraklasse.


Auch als Foto großartig, es gab da noch keinen PC. Und dieser Fernseher konnte auch nicht mit einem Videoanschluss ein Bild wiedergeben. Da hat man also ein großes Dia reingebastelt und von hinten beleuchtet. Und dann noch diese futuristische Liege gebastelt.

Auch das, damals offensichtlich, ist heute nicht mehr ohne weiteres zu entschlüsseln: Die fünfjährige Tochter einer Freundin schaute sich das Cover an und sagte, unaufgefordert: Mama ist arbeiten und der Roboter passt auf das Baby auf. Im ernst.


Und wie würden diese Kinder der nahenden Zukunft dann sein als Erwachsene?

Werden das Menschen, die sich lieber mit Maschinen beschäftigen als mit anderen Menschen?

Erst 2013 nimmt der sehenswerte Film Her diese Problematik auf.

Zwischenzeitlich kam dann irgendwie Alexa.

Und 2023 ist das alles schlichtweg Realität. Lesen Sie selbst.

Ich kann mich gar nicht entscheiden, ist ja alles so schön bunt hier, um die gute Nina Hagen nochmal in Erinnerung zu rufen. Für mich geht das jedenfalls nicht gestörter. Und es ist schlichtweg brandgefährlich: Menschen, die zum anderen Menschen nicht mehr in sinnvollen Bezug treten können ...

... ach, es ist ja kein politisch-psychologischer Blog hier, Entschuldigung.


Ein Mann steht mit Gasmaske auf einer Düne am Meer. Vor ihm ein schwarzer toter Vogel.

Ja, ja.

Aber was soll ich dann zu diesem Bild hier noch sagen?

Außer, dass es ein Foto ist, der Vogel ist tot, die Maske ist echt.

Und es hat uns angeregt und bewegt seinerzeit.

Und es ist von einem Sampler, ich halte Sampler ja für wichtig.

Und dieser Sampler ist noch viel früher als das, was ich Ihnen bisher gezeigt habe.

Picnic, A Breath of fresh Air, 1970. Sprechende Bilder.

Aber wer dachte sich bloß sowas aus, und warum?


Werbeplakat an einer Hauswand. Zehn Millionen Fernsehzuschauer können sich nicht irren. Plattencover von Fehlfarben.

Und natürlich unbedingt das hier, Fehlfarben, Monarchie und Alltag.

1980.

Verstehen Sie?

Es gab mal den Gedanken, dass selbst bei den öffentlich Rechtlichen vielleicht nicht alles mit so ganz rechten Dingen zugeht.

Ich bin Zeitzeuge.

Und in dem Buch zu dieser Webseite, das es voraussichtlich nicht geben wird, stünde dann drin, wie schockiert ich als Elfjähriger nach der Demonstration gegen den schnellen Brüter von Kalkar gewesen bin, als ich abends in der Tagesschau etwas völlig anderes gesehen habe, als das, was ich gerade erlebt hatte.

Aber, wen interessiert das schon, zwei Milliarden Wikipedia-Nutzer können sich schlielich auch nicht irren:

Es war irgendwie ein bisschen anders. Und es war auch irgendwie ein bisschen mehr als das.

Aber, wie texteten die Fehlfarben doch so schön hintersinnig?


Wo wir schon bei Hintersinn angelangt sind: Die oben erwähnten Gebrüder Engel, grausige Musik, aber an Feinsinn, Hintersinn und, leider, Aktualität textmäßig kaum zu überbieten.

Aber ob man heute Die Rede überhaupt noch als eine grundlegende Infragestellung unseres demokratischen Systems verstehen kann, und wenn jemand so einen Standpunkt verträte, den nicht sofort zum Reichsbürger, Antisemiten und Verschwörungstheoretiker erklärt, oder ob man überrascht zur Kenntnis nimmt, dass mit Sie fangen wieder an bereits 1981 sehr deutlich vor einem neuen Rechtsradikalenproblem gewarnt wurde, und es einen dann auch noch wenigstens ein bisschen kratzt, ich denke nicht. Krise? Welche Krise?

Außerdem galt da noch der Radikalenerlass: Das Problem war und ist ja immer links. Das war also völlig in Ordnung, über 3,5 Millionen unbescholtene Menschen auf ihre politische Gesinnung hin zu überprüfen. Nicht dass die am Ende links sind und dann so ein Zeug verbreiten wie mein Biolehrer.


Die Engel waren allerdings manchmal auch einfach direkt. Und wegen der thematischen Nähe tauchen Sie hier kurz noch einmal aus der Versenkung auf:

Kabelfernsehen bunt und schön, wir verblöden angenehem. Am Arsch.

1980.

Die Einführung des Kabelfernsehens war 1984.

Eine andere Zeit: Kritik und Debatte gab es vor geplanten Änderungen. Und statt in gesteuerten Filterblasen auf pseudopolitischen Stimmungswellen zu reiten und seinen Standpunkt durch Likes auszudrücken war man informiert und lief sich auf Demos Blasen.

Da war sogar der spätere Cowboystiefelträger-Troubadour Westernhagen noch politisch. Wenn Sie's nicht glauben, hören Sie mal rein.


Und manchmal war es dann auch einfach erklärtermaßen unpolitisch oder gar noch lustig. Oder meinetwegen auch einfach überinterpretiert:

Kraftwerk I Oranger Pilon

Hat Kraftwerk nach der "Kraftwerk I", dem zu Recht berühmten orangen Pilon, mit dem identischen Cover der "Kraftwerk II" vielleicht wirklich gemeint: "Das Selbe in Grün"?

Musikalisch ist es jedenfalls so.


Ein Mund mit herausgestreckter Zunge leckt an einem Apfel. Plattencover von Gentle Giant.

Oder ist die hier scheinbar am Arsch leckende Zunge tatsächlich eine Anspielung auf das total sexy Symbol einer der schlechtesten, aber wohl leider auch bekanntesten Mainstream-Rock'n'Roll-Bands aller Zeiten?

Ein geschminkter Mund öffnet und schliesst sich vor einem schwarzen Hintergrund.

Wie zweifelsohne in diesem wunderbaren Zitatfilm?

Der künstlerisch viel, viel mehr hergibt als der spätere Travestie-Kult daraus gezogen hat. Was ihn aber immerhin so lange in den Kinos gehalten hat, dass ich mir den Jahre später noch Sonntags vormittags um elf im Kino anschauen konnte. Mit Zeitung über dem Kopf und Wasserpistole, versteht sich.

Yes, Janet!


Naja, ich denke, damit ist so ungefähr skizziert, was ich so zu über durch Bilder vermittelte Inhalte zu sagen hätte.

Alles weitere dann im Vinylmuseum.

Oder vielleicht tatsächlich in einem Buch.


Wir sehen uns!

Vinylfreak


Wenn Sie das gern gelesen haben, empfehlen Sie mich doch bitte einfach weiter. Ich werde gern gelesen.


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