Krautrock, das ist nicht einfach alles mit einer verzerrten E-Gitarre und wo die Musiker deutsche Pässe haben.
Der Begriff ist heute auf der Jagd nach Klicks und dem schnellen Euro in El Dorado so ausgelatscht, dass er etwa so unbrauchbar ist wie die unsinnige Werbung auf dem Sauerkrautglas hier. Nur "vegan" fehlt da noch.
Sicher kann man den Begriff weit fassen. Dann gehört für manch einen tatsächlich auch Grobschnitt dazu.
Und natürlich Guru Guru.
Damit würde man sich eher an einer bestimmten Zeit orientieren, End-Sechziger bis Mitte Siebziger so etwa. Wikipedia folgt zumindest dieser zeitlichen Orientierung.
Aber wieso zählen denn dann eigentlich die Scorpions nicht dazu?
Und was ist mit der späteren Entwicklung dieser Bands?
Zählt die 1980er Illegal von Grobschnitt etwa noch zum Krautrock?
Wenn ja, wieso dann nicht die zeitgleichen Extrabreit?
Und was ist mit Kraftwerk, die ihre ersten beiden Scheiben, die für mich eindeutig zum Krautrock zählen, totschweigen und Neuauflagen aktiv unterbinden, und dann ihren Stil total verändert haben?
Und eine Band wie Faust, ebenfalls as Krautrock as can be, die noch in jüngster Zeit mit zwei neuen Scheiben mit genau dem typisch faustischen Sound aufgewartet haben ...?
Halten wir also fest: es ist schwierig.
Und natürlich habe auch ich keinen Lösungsvorschlag.
Aber eine Meinung:
Es gibt keinen Krautrock aus dem Jahr 2019 von einer Band, die nicht aus der Zeit stammt ...
Bei diesem recht schönen Album, das ich wirklich gern höre, weil auch die Tonabnahme und Abmischung gelungen sind, ist es neben dem Erscheinungsjahr und der Bandgeschichte auch einfach die Art der Musik: das ist melodiöser und komplexer Hardrock wie Deep Purple in den besten Zeiten. Und deswegen zählt das wie die Scorpions schlichtweg rein musikalisch nicht zum Krautrock.
Wie gesagt, man darf streiten, welche Komponenten aus musikalischer Sicht denn zum Krautrock gehören. Und ich bin einfach nur Endkonsument.
In jedem Fall ist es für mich eine eng zu ziehende Definition: Krautrock hat ein bestimmtes, experimentelles Klangbild und einen unkonventionellen Aufbau, oft überraschend, bisweilen geradezu provokant. Da habe ich schon Schwierigkeiten, die tollen und zeitlich passenden Eloy mit dazu zu rechnen.
Aber mit Sicherheit hat das mehr Berechtigung als Witthüser & Westrupp so zu labeln.
Bei der oben ins Bild gesetzten Vvlva ist die Band an der falschen Vereinnahmung des Begriffs schuld. Da habe ich nämlich bei Disscocks den Eintrag korrigiert, jemand meldete sich und sagte, die seien aber so bei Bandcamp angegeben, und er hätte es nur übernommen.
Da geht's um Kommerz: wenn wir nur genug taggen, findet uns vielleicht jemand. Ob's klappt, ich weiß es nicht, aber wenn ich hier schreibe "Anleitung zum Bombenbauen und Planung für einen bewaffneten Staatsstreich unter Führung von König Peter I", dann findet mich bestimmt jemand. Dies ist ein Aufruf zur Revolte. Im kulturvernichtenden Wahn der politischen Korrektheit muss man mit sowas allerdings vorsichtig sein heutzutage. Ironie wird nicht mehr verstanden oder ignoriert. Es geht um Worte, nicht um Inhalte.
Bei Grombira, ebenfalls eine neue Band, ging's auch um den Kommerz, als die gleich sieben oder acht Stilrichtungen für ihre vier Songs getaggt hatten. Krautrock eine davon, und aus genannten Gründen völlig unberechtigt. Wissen Sie, in meinen Ohren ist jemand, der acht Stile auf einer Platte hat, schlichtweg stillos.
Bei der Witthüser, im Prinzip Musik wie Reinhard Mey mit etwas politischeren Texten und schlechterem Versmaß, war's übrigens das Label, das die Neupressung herausgebracht hat. Das weiß ich, weil der Haupteintrag, den bei Disskack nicht jeder verwalten darf, gibt den richtigen Stil an, es ist Folk im weitesten Sinne.
Datenzumüllung. Und dann auch noch von einem gefälschten Label.
Aber neben Ära und Musikstil zählt für mich zum Krautrock eben auch ein bestimmtes, herausforderndes Klangbild. Und das hat etwas mit Toningenieuren zu tun: Dieter Dierks und Conny Plank, ohne die hätte es "meinen" Krautrock, der Krautrock, von dem Bowie Anleihen genommen hat, nicht gegeben. Für mich hat's was mit psychedelisch zu tun. Das geht hin bis zur Vorwegnahme von Techno, hören Sie mal rein in Die Grüne Reise von Achim Reichel, deren Neupressung übrigens hervorragend aufbearbeitet ist. Oder in die Kundalini Meditation "von" Osho ...
Psychedelisch, das trifft auf die ersten beiden Kraftwerk jedenfalls aber sowas von zu, von deren Autobahn kann man das aber ja nun wahrlich nicht behaupten. Außerdem ist das gesamte spätere elektronische Zeugs von denen beim besten Willen auch überhaupt kein Rock. Also auch kein Krautrock.
Kurzum, nicht überall wo Kraut draufsteht, ist auch was Gehaltvolles drin, das den Preis rechtfertigt. Obwohl's vegan ist.
Mit einer Kategoriensuche bei Discogs würde ich es jedenfalls nicht versuchen. Auch die anderen Kategorien sind entsprechend zugemüllt, es sei denn natürlich, Sie halten Santana und Genesis für psychedelischen Rock ...
In meinem Schrank hier stehen freilich mehr Bands rum, die für mich zu diesen beiden wunderbaren Musikstilen zählen, als bei den Plattenvorstellungen gelistet, aber vielleicht bringt sie der Tag unten ja schon etwas weiter.
Wenn Sie das gern gelesen haben, empfehlen Sie mich doch bitte einfach weiter, ich werde gern gelesen.
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